Autorin Jacinta Nandi über Mutterschaft: Was ist eine "Cocaine Mom", Jacinta Nandi?

BRIGITTE: In deinem Roman wird viel gekokst – sogar auf Kindergeburtstagen. Ist das überspitzt oder Realität?
Die "Cocaine Moms" sind das Berliner Äquivalent zu den "Wine Moms": Frauen, die sich den Alltagsstress mit Wein schöntrinken. Nur, dass Kokain eben effizienter ist. Wer will schon verkatert sein? Ich habe neulich mit einer Mutter gesprochen, die ihrem Kind das Ritalin klaut, wenn sie die Wohnung putzen muss. Als das Rezept auslief, ist sie auf Speed umgestiegen. Sie meinte: Damit putzt sie noch besser. (lacht)
Krass. Aber irgendwie auch nachvollziehbar. Alle reden über Vereinbarkeit – und gleichzeitig fordern Politiker:innen, dass Mütter noch mehr arbeiten sollen.
Genau. Ich wette mit dir: Bärbel Bas hat keine einzige Alleinerziehende in ihrem Team! Oh, morgen ist Brückentag, da muss ich mein Kind mit ins Büro bringen – davon hat sie sicher noch nie gehört. Wenn Bärbel Bas mir mein Kind einmal die Woche für zwei Stunden abnehmen würde, ihm ein Eis kauft und später zu mir bringt, arbeite ich gerne länger! Ich würde echt gerne produktiver für die deutsche Wirtschaft sein. Aber dafür müssten wir Alleinerziehenden uns klonen.
Was wünschst du dir von der neuen Regierung?
Die Boomer müssen endlich verstehen, dass wir nicht mehr im Jahr 1967 leben, als man sich für 250.000 Euro ein Haus kaufen konnte und alle von 9 bis 17 Uhr gearbeitet haben. Heute nennt sich das Teilzeit. Inklusive Mittagspause sind das gerade mal sieben Stunden.
Trotzdem ist mein Kind immer das letzte in der Kita. Und ich hab ein schlechtes Gewissen.
Aber wie sollen wir sonst arbeiten? Ich hab so oft so ein schlechtes Gewissen – dass ich nicht genug arbeite, nicht hart genug arbeite, dass ich mehr schreiben sollte … Aber viele Schulen sind schon um 13 Uhr vorbei! Dann sehe ich draußen überall Eltern und Kinder mit Schulranzen – und ich fühle mich schlecht. Ohne Zeitmaschine schaffe ich das nicht. Wenn wir produktiver sein sollen, müssen die Politiker:innen uns viel mehr mit den Kindern helfen, denn sie erziehen sich nicht allein.
Was müsste sich konkret ändern?
Längere Kita-Öffnungszeiten, Ganztagsschulen, bezahlbarer Wohnraum, ernsthafte Entlastung für Alleinerziehende. Ich habe 2004 und 2017 ein Kind bekommen – und es ist heute schlimmer als früher. 2004 war es völlig normal, Kinder bis 18 Uhr in der Kita zu lassen. Heute bist du eine Rabenmutter. Die deutsche Gesellschaft schafft es echt, mir einzureden, dass ich in beiden scheiße bin – als Mutter und in meinem Job. Weil ich nicht genug arbeite und mein Kind nicht früh genug abhole. Und dann soll das Kind am besten noch an fünf Abenden die Woche einer Aktivität nachgehen.
Apropos Aktivität: Was genau ist eigentlich ein "Single Mom Supper Club"?
Jacinta Nandi: Es ist ein bisschen wie Prostitution, nur mit gutem Essen. (lacht) Nein, im Ernst: Das sind Dinnerpartys von Alleinerziehenden, bei denen alle ihre Kinder mitbringen, sie schlafen legen und dann gemeinsam essen und trinken. Für viele ist das die einzige Möglichkeit, überhaupt mal rauszukommen. Und vor allem: sich gegenseitig zu helfen.
Brauchen wir neue Formen von Gemeinschaft?
Total. Es müsste normaler werden, dass man sich gegenseitig hilft. Politik könnte das fördern – durch neue Wohnformen, Netzwerke, finanzielle Anreize. Stattdessen müssen wir uns dafür rechtfertigen, dass wir unsere Kinder „zu spät“ abholen. Ich finde: Die Kita hat bis 18 Uhr auf – also darf mein Kind auch bis 18 Uhr da bleiben.
Ist dir wichtig, was andere über dich als Mutter denken?
Leider ja. Ich hatte Phasen, da hat mein Sohn gefragt: "Mama, wo schlafen wir heute?" – weil ich ihn oft irgendwohin mitgenommen habe. Da fühlte ich mich wie eine Rabenmutter. Aber was hätte ich sonst tun sollen? Ich bin auf Solidarität angewiesen. Mein Freundeskreis hilft mir manchmal, aber das funktioniert natürlich nur, wenn man ähnliche Lebensrealitäten hat. Viele Single Moms lästern über Paare mit Kindern, weil sie nicht öfter für sie Babysitten. Aber ich verstehe das, die meisten haben ihre 19-Uhr-zu-Bett-bring-Routinen, dazu passt keine Pyjamaparty. Mein Traum wäre eine süße deutsche Oma, die in der Nähe wohnt.
Du glaubst, dass Frauen und Männer glücklicher sind, wenn sie nicht zusammenleben. Warum?
Vielleicht sollten wir sogar kinder- und männerfrei leben. (lacht) Ich bin eigentlich total romantisch – ich liebe Teenie-Liebesfilme! Aber realistisch betrachtet funktioniert es besser, wenn Männer nicht im selben Haushalt leben. Dann zeigen sich die meisten von ihrer besseren Seite.
Du bekommst viel Hass im Netz. Wie gehst du damit um?
Ich mache Herz-Emojis drunter. (lacht) Viele Nachrichten sind sexistisch, beleidigend, bedrohlich. Nazis hassen mich. Aber das, was mich wirklich trifft, ist, wenn jemand schreibt: "Und noch dazu bist du dick." Innerlich bin ich so fettenfeindlich sozialisiert, dass mich genau das am meisten kränkt. Aber ich lasse mich davon nicht aufhalten. Es ist zu spät – die Leute, die mich hassen, werden mich sowieso hassen.
Und was gibt dir Kraft?
Der Gedanke, dass ich trotz allem schreibe. Das schaffe ich aber nur, wenn meine Kinder bei ihren Vätern sind. Ich bin nicht so wie diese echten Schriftsteller – Kafka oder Goethe, die den ganzen Tag nichts anderes getan haben. Und trotzdem erscheint jetzt schon mein siebtes Buch! Dann denke ich wiederum: Diese kinderlosen Männer könnten eigentlich viel mehr schaffen – so fleißig sind die gar nicht.
Brigitte
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